INSIDE THE SIXTIES
Ausgesuchten Fundstücke erzählen von
Lebenslust, vom Jazz in der Tanzdiele und
den Marlene-Dietrich-Filmen im Kino – vor
dem Hintergrund politisch brisanter
Klimaveränderungen.
BY ALFRED BURZLER
SIMON TYRRELL mag Gegenstände, die Geschichten
erzählen. Es fasziniert ihn auch, wenn sich eine geografi sche
Route nachvollziehen lässt, auf der mancher Wohngegenstand
bewegt wurde oder auch bewegt wird. Einmal, erzählt er, hat
er ein in Wien erworbenes Sideboard schnell an einen Freund
in England verkauft. Der Freund dealte das Möbel gleich am
nächsten Tag an ein Paar aus Brasilien weiter. Wenige Tage später
wurde das Vintage-Fundstück, das ungefähr 50 Jahre lang
in einer Wiener Wohnung gestanden hatte, nach Rio verschifft.
„Irgendwann“, meint Simon, „werde ich ein Projekt machen,
das diese Reisebewegungen von Möbeln zum Thema hat.“
Weitgereist ist auch Simon Tyrrell selbst. In den 1980er Jahren
hat er am Royal College of Art in London ein Designstudium
absolviert. Damals war die italienische Postmoderne richtungsweisend
und so zog es den Memphis-begeisterten Briten nach
Italien. In den folgenden Jahren arbeitete Tyrrell in italienischen
Designstudios, darunter auch in den Büros von Designgrößen
wie Michele de Lucci und Matteo Thun. Ebenso prägend waren
dann einige Jahre in Asien, wo er unter anderem mit der
Entwicklung moderner Spieluhren befasst war. Noch heute
schwärmt er von der kuriosen Hingabe mit der sich große japanische
Büros kleinen Details widmen. Irgendwann landete
Simon Tyrrell in Wien und lernte hier nicht nur seine Ehefrau
Christine kennen, sondern entwickelte auch die Passion für das
Aufspüren von Vintage-Designartikeln.
Die beiden gründeten das Label „The Room – inside the sixties“
und begannen mit einem Verkaufslager in Wien Ottakring.
„Room“ war von Anfang an immer auch ein Raum für Entwicklung
und Inspiration. Diese Grundhaltung wird insbesondere
durch einen 2010 entstandenen Fotokatalog veranschaulicht:
Für Fotoaufnahmen arrangierte Tyrrell Vintage-Fundstücke zu
sensiblen Möbelskulpturen oder inszenierte fantasievoll Gegenstand
und Umgebung. Das auch typografisch ansprechend
gestaltete Booklet wurde im selben Jahr mit dem Design-andAdvertisig-
Award ausgezeichnet.
Vor rund einem halben Jahr übersiedelte „The Room“ direkt
an den Kutschkermarkt in Wien Währing und präsentiert sich
hier als sympathische Vintage-Galerie. Die Entscheidung, im
18. Bezirk einen Designladen zu platzieren, ist übrigens gut
überlegt. Die Bewohner des Bezirks passen perfekt zur Zielgruppe
des Ladens. „Es gibt hier wirklich viele junge Familien,
die sich gerade einrichten. Es ist mittlerweile übrigens verboten
,ohne Kinder hierher zu ziehen.“ Okay, stimmt nicht, das ist
britischer Humor.
Das Ecklokal war früher eine Filiale der Creditanstalt. Die Räume
sind großzügig und licht, draußen vor den Fensterscheiben
herrscht buntes Markttreiben. „Unten im Keller gibt es einen
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Raum, wo sich noch Bankschließfächer befinden. Da habe ich
zuerst an ein Kino gedacht, jetzt plane ich eher einen Kaffeehausbereich
oben und dafür unten einen Showroom“, erzählt
Simon und es ist klar, dass vom Ladenkonzept in der Zukunft
noch einiges zu erwarten ist. Auch eine Ecke für eigene Entwürfe
könnte es später geben. Eine fixe Einrichtung ist bereits
jetzt der sogenannte Designtalk. Designinteressierte treffen sich
in regelmäßigen Abständen im Laden, um sich in entspannter
Atmosphäre über Designfragen auszutauschen.
Die Zeitspanne von 1955 bis 1965 sieht Simon Tyrrell als kreative
Hochblüte im Design des 20. Jahrhunderts an. „Immer
wieder unglaublich, was sich in diesen Jahren alles abgespielt
hat.“ Später, meint er, werde das Design mehr und mehr technologielastig.
So findet man in „The Room“ ein anregend durchmischtes
Potpourri aus europäischem Nachkriegsdesign, Möbeln,
Leuchten, Glas und Keramik mit Schwerpunkt sechziger
Jahre. Nicht nur bekannte Klassiker werden präsentiert, sondern
auch Stücke mit der Bezeichnung „unknown“. Begeistert auf
die Designqualitäten von bestimmten namenlosen Entwürfen
hinzuweisen, auch das ist Teil der Design-Mission von Simon
Tyrrell.
The Room - inside the sixties
PEOPLE | DESIGN FAQ | 19
(Foto: Magdalena Blaszczuk)